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Angriffsdatum: 22. Juli 2008

BERND KÖHLER

anfuehrung

"Mein Bruder liebte die Musik. Als Jugendlicher spielte er in einer Band und auch später holte er oft die Gitarre raus. Stippi war einfach ein liebenswerter und freundlicher Mensch."

Seine Schwester Waltraud Krüger

 

Bernd Köhler wird am 27. Juli 1952 in Templin geboren. In seiner Familie ist er das achte und mit Abstand jüngste Kind – ein Nesthäkchen, Liebling der Mutter und der Geschwister sei er gewesen, erinnert sich seine Schwester. Von Anfang an ist „Stippi“ sein Spitzname in der Familie. [1] Der Spitzname bleibt ihm auch als Erwachsener erhalten.

Vor der Wende arbeitet Bernd Köhler zunächst als Meliorationstechniker. Von 1987 bis 1991 ist er Kraftfahrer in einem Getränkekombinat, dann gibt es dort keine Arbeit mehr. Mit 42 Jahren heiratet Herr Köhler. Er wird Vater von zwei Töchtern. Ohne Aussicht auf eine feste Anstellung schlägt er sich durch. Der Alkohol spielt eine immer größere Rolle in seinem Leben. Immer öfter zieht er sich in die ehemalige Böttcherwerkstatt seines Vaters zurück, die er Mitte der 1990er Jahre von seinen Geschwistern gekauft hat. Dort übernachtet er und trinkt häufig zusammen mit anderen Alkohol.

DER ORT

In Templin, der viertgrößten Stadt in der Uckermark, kommt es kurz nach der Jahrtausendwende wieder vermehrt zu rechten und rassistischen Angriffen. Zuvor hatte sich die extrem rechte Szene – infolge einer Verhaftungswelle nach sehr brutalen Gewalttaten 1998 – etwas zurückgezogen, war aber nie verschwunden. Inzwischen orientiert sie sich stark an der NPD, die in der ländlichen Region sehr präsent ist und mit Plakaten und Infoständen auf sich aufmerksam macht. Der Verfassungsschutz beziffert die extrem rechte Szene in Templin 2008 auf 80 Personen.

Seit Mitte 2007 kommt es zu zahlreichen Übergriffen aus der rechten Szene Templins auf alternative Jugendliche, Punks, People of Color, Schwarze Menschen und Menschen mit Migrationsgeschichte. Einer der gefährlichen Orte ist der Busbahnhof, der u.a. für Schüler_innen und Auszubildende der zentrale Knotenpunkt auf dem Weg in die umliegenden Dörfer ist. Dort kommt es wiederholt zu rechten Gewalttaten. Auch der Irish Pub, der ein Treffpunkt der alternativen Szene ist, wird 2007 mehrmals attackiert. In den zwölf Monaten vor dem Mord an Bernd Köhler zählt die Opferperspektive zehn rechte Angriffe in der Kommune Die Polizei registriert in der ersten Jahreshälfte 2008 bereits 39 politische Straftaten in der Kleinstadt [2] – die nur knapp 17.000 Einwohner_innen hat.

DIE TAT

Am Abend des 21. Juli 2008 treffen sich Bernd Köhler und C. W. zufällig bei einem gemeinsamen Bekannten in der Wohnung. C. W. ist als überzeugter Neonazi bekannt. An diesem Abend trägt er ein T-Shirt mit dem Konterfei von Rudolf Heß. Die beiden kennen sich seit einigen Monaten oberflächlich und trinken öfter zusammen. C. W. lässt Bernd Köhler sogar einmal in seiner Wohnung übernachten. Das Verhältnis ist augenscheinlich freundschaftlich. Auch an diesem Abend ist die Stimmung zunächst friedlich, man trinkt zusammen. C. W. bittet Bernd Köhler, ihm ein Fahrrad zu schenken – Herr Köhler sagt zu. Gemeinsam gehen die zwei und ein weiterer Bekannter zur ehemaligen Böttcherwerkstatt von Bernd Köhler, um das Rad zu holen. Sie lassen es dann aber doch stehen, weil unklar ist, ob die Luft im Reifen hält. Zu zweit ziehen sie zum Obdachlosenheim weiter, um auch dort zu trinken, kaufen später zusammen noch mehr Bier im Supermarkt. Schließlich lädt C. W. Bernd Köhler zu sich nach Hause ein und dieser nimmt die Einladung an. Auf dem Weg dorthin treffen sie zufällig auf S. P., der ebenfalls zur rechten Szene Templins gehört. Zusammen mit ihm laufen sie zum Marktplatz, setzen sich dort auf eine Parkbank und trinken weiter Bier. Einer der beiden Neonazis ruft zwischendurch „Sieg Heil“. Irgendwann ziehen sie weiter.

Als Bernd Köhler auf dem Weg in Richtung Robert-Koch-Straße die beiden anderen verlassen will, eskaliert die Situation plötzlich. C. W. droht ihm mit Schlägen und beschimpft ihn als „ Drecksau“ und „Assi“. Bernd Köhler versteckt sich kauernd hinter einer Fichte, doch die beiden Neonazis finden ihn in seinem Versteck. S. P. tritt mit Füßen brutal auf ihn ein. In dieser Situation kommt C. W. Herrn Köhler noch zur Hilfe. Dann jedoch nötigen die beiden Rechten ihn, gemeinsam zur Werkstatt zu gehen, um das versprochene Fahrrad zu holen. Beide sind zu diesem Zeitpunkt bereits hoch aggressiv. Auf dem Weg zur Werkstatt demütigen und beschimpfen sie Bernd Köhler massiv, treiben ihn mit extremer Verachtung vor sich her.

In der Werkstatt setzt sich Bernd Köhler erschöpft auf den Boden, ihm fallen sofort die Augen zu. Die beiden Täter schütteln, treten und schlagen ihn, brüllen ihn dabei an. Sie quälen ihn über einen langen Zeitraum, treten ihn wieder und wieder mit großer Brutalität – häufig gegen seinen Kopf, sein Gesicht und seinen Oberkörper. Herr Köhler schreit vor Schmerzen. Als er nur noch röchelnd am Boden liegt, nimmt S. P. eine abgebrochene Bierflasche und will ihm damit in den Hals stechen. An diesem Punkt sagt C. W. seinem Mittäter, er solle jetzt aufhören, und fordert ihn auf, abzuhauen, um Ärger zu vermeiden. Die beiden lassen den schwer verletzen Herrn Köhler einfach liegen und verlassen die Werkstatt.

Nachdem sie eine halbe Stunde auf dem Marktplatz noch ein Bier getrunken haben, kehren sie zurück, um sich das geschenkte Fahrrad zu holen. Bernd Köhler ist zu diesem Zeitpunkt bereits tot. Die Täter – oder einer von ihnen – kippen Abfälle auf Herrn Köhlers toten Körper und versuchen, ihn anzuzünden.

DAS VERFAHREN

Die Staatsanwaltschaft Neuruppin plädiert bei beiden Angeklagten auf Mord aus niedrigen Beweggründen und fordert für den zum Tatzeitpunkt 18 Jahre alten S. P. die höchste Jugendstrafe von zehn Jahren. Für den drei Jahre älteren C. W. hält sie eine lebenslange Haftstrafe nach Erwachsenenstrafrecht für angemessen. In ihrer Begründung hebt die Anklagebehörde hervor, die Täter hätten „aus menschenverachtender und politisch rechter Überzeugung heraus“ gehandelt und Bernd Köhler durch massive Tritte gegen den Kopf getötet. Sie hätten den alkoholkranken Mann dabei als „Abschaum“ betrachtet und ihn einem Tier gleichgesetzt. Bei S. P. sei als weiteres Motiv Grausamkeit und Mordlust hinzugekommen. [3]

Während des Gerichtsverfahrens äußert sich keiner der beiden Täter. S. P. erwähnt jedoch gegenüber einer Gutachterin, politisch rechts zu stehen. [4] Nach 12 Verhandlungstagen verurteilt das Landgericht Neuruppin am 5. Mai 2009 S. P. tatsächlich wegen Mordes zu einer zehnjährigen Jugendstrafe. In das Strafmaß wird eine weitere Verurteilung wegen Körperverletzung vom Amtsgericht Prenzlau einbezogen. C. W. wird wegen Beihilfe zum Mord durch Unterlassen und Körperverletzung zu neun Jahren und drei Monaten verurteilt. Die Strafkammer sieht es in ihrem Urteil als erwiesen an, dass bei der Auswahl des Opfers das „neonazistische Menschenbild“ der Täter eine wichtige Rolle spielte. Laut Auffassung des Gerichts misshandelten und quälten die Täter Bernd Köhler zu Tode, weil sie ihn aufgrund seines sozialen Status als Alkoholiker verachteten. In seiner mündlichen Urteilsbegründung hält der Vorsitzende Richter fest, die Täter hätten sich als Herren über Leben und Tod aufgespielt – einen solchen Mangel an Empathie hätten auch Folterknechte im KZ gezeigt. [5]

Der Bundesgerichtshof (BGH) lässt im Januar 2010 die Revision des Jüngeren zu und beanstandet das verhängte Strafmaß gegen ihn. Seine Verurteilung wegen Mordes bleibt davon unberührt, doch der BGH ist der Auffassung, dass er vermutlich nicht Alleintäter gewesen sei und das Gericht den Tatbeitrag des zweiten Täters möglicherweise als zu gering eingeschätzt habe. Dennoch fordert der BGH eine Haftstrafe für S. P. „im obersten Bereich des Strafrahmens“. Im Revisionsverfahren reduziert das Landgericht Neuruppin das Urteil ihn auf neun Jahre Jugendhaft. Es geht dabei davon aus, dass er von seinem Mittäter„angestachelt wurde, immer noch einen draufzusetzen“. [6]

DAS GEDENKEN

In den Monaten nach der Tat organisieren Angehörige, Kirchenvertreter_innen und engagierte Templiner Jugendliche Veranstaltungen im Gedenken an Bernd Köhler und Erinnerung an den rechten Mord. Ein kurz nach der Tat geplantes Benefiz-Konzert wird zunächst wieder abgesagt, da sich der Bürgermeister dagegen ausspricht – erst nach Protesten lädt er einige Wochen später schließlich mit zu einer Gedenkveranstaltung ein.

Drei Jahre nach dem Mord lädt die Stadt Templin– nun mit neuem Bürgermeister –  erstmals am Todestag von Bernd Köhler zu einem Gedenken an seinem Grab ein.  Bis 2018 – 10 Jahre nach dem Mord – finden die kleinen Gedenkfeiern statt, an der auch Familienangehörige von Bernd Köhler teilnehmen. Auf Wunsch der Familie werden findet dieses jährliche Gedenken nicht mehr statt. Einen öffentlichen Gedenkort für ihn gibt es bislang nicht.

 


[1] Gegenrede, 06.05.2009: Es gab ein Leben vor dem Tod.
[2] Templin: Mord aus rechter Gesinnung, Schattenbericht OPP August 2009
[3] Fokus vom 5.5.2009: Hohe Haftstrafen im Templiner Mordprozess
[4] Uckermark Kurier vom 27.2.2009: „Sven ist ein fehlgeleiteter Jugendlicher“
[5] Berliner Zeitung vom 6.5.2009: Neonazis ermordeten einen Arbeitslosen. Sie erhielten hohe Haftstrafen. „Erstaunliche Menschenverachtung“.
[6] Tagesspiegel, 28.07.2010: Mörder von Templin erkämpft mildere Strafe.

weitere infos

weiterführende Informationen

Gedenkbroschüre

Bernd Köhler  – vielen besser bekannt als „Stippi“ – kam aus Templin. Er verbrachte fast sein ganzes Leben hier.

Gemeinsam mit einer seiner Schwester entstand 2008 eine kleine Broschüre in Erinnerung an ihn.

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Es gab ein Leben vor dem Tod

Peter Huth, Gegenrede, 6.5.2009

Bernd Ks. Leben verlief neben den Schlagzeilen. Erst sein Tod brachte ihn kurzzeitig in die Medien, machte ihn zum sensationsträchtigen Opfer rechter Gewalt. Erst sein Tod ließ ihn obdachlos werden, machte ihn zum arbeitslosen Alkoholiker – oder prosaischer – zu einem, der am Rande der Gesellschaft lebte…

Der Journalist veröffentlicht 2009 eine Reportage über das Leben von Bernd Köhler.

WEBSEITE

SS-Runen auf der Skaterbahn

Heike Kleffner, ZEITonline, 2.9.2009

Angriffe auf Punks und nächtliche „Sieg Heil“-Rufe: Das brandenburgische Templin gilt nicht erst seit dem gewaltsamen Tod von Bernd K. als schwieriges Pflaster für alle, die nicht ins rechte Weltbild passen

 

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