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Guben

Gedenken für Farid Guendoul

Einen Tag nach der tödlichen Hetzjagd rufen der Gubener Bürgermeister Gottfried Hain (parteilos) und der Landrat zu einer Mahnwache gegen rechte Gewalt am Tatort auf. An der Veranstaltung nehmen der Ministerpräsident Manfred Stolpe, die Ausländerbeauftragte Almut Berger, weitere Vertreter_innen der Brandenburger Landesregierung und Hunderte Bürger_innen teil. Antifaschistische Gruppen führen am gleichen Tag eine Demonstration durch. An den beiden Veranstaltungen zusammen nehmen rund 500 Menschen teil. [1]

Auch in den nächsten Tagen und Wochen gibt es verschiedene Trauer- und Gedenkfeiern sowie Benefizkonzerte für die Familie und das zu diesem Zeitpunkt noch nicht geborene Kind Farid Guendouls. Auf Initiative des Bürgermeisters beginnt eine Unterschriftenaktion für ein „offenes, tolerantes Guben”. An einer zentralen Trauerfeier in der Landeshauptstadt Potsdam nehmen ca. 1000 Menschen teil, unter ihnen fast das gesamte Brandenburger Kabinett, die Brandenburger Ausländerbeauftragte und die Bundesjustizministerin Däubler-Gmelin. [2]

Überregional gibt es sehr schnell auch eine große mediale Aufmerksamkeit: Bundesweit und sogar international wird fast täglich über die „Hetzjagd von Guben“ berichtet. Bis Ende 2000 ist das Thema medial präsent. Der Diskurs in Guben selbst ist hingegen ganz anders. Die überwiegende Mehrheit der dortigen Bevölkerung verharmlost Farid Guendouls Tod als ,tragischen Unfall‘. Nur wenige Gubener_innen zeigen Betroffenheit, viele hingegen Verständnis für die Täter. Sie sehen sich als ,Opfer einer Medienlawine‘ und betrachten sich als zu Unrecht ,an den Pranger gestellt‘. [3]

Bereits wenige Tage nach der Tat bemüht sich die Antifa Guben, eine Gedenktafel am Hauseingang der Hugo-Jensch-Straße 14 anzubringen. Sie wird aber von der Polizei daran gehindert, die mit einer Anzeige wegen Sachbeschädigung droht. [4] Außerdem stößt die Gruppe sowohl bei den Vertreter_nnen der Stadt als auch bei den Anwohner_nnen auf massiven Widerstand. Viele bagatellisieren und entpolitisieren die Tat. Zudem wird die Befürchtung angeführt, dass das Haus zum Wallfahrtsort der rechten Szene werden könnte. [5] Parallel zu dem Versuch der Antifaschist_innen, die Gedenktafel einzuweihen, versammeln sich rund 50 Neonazis in der Innenstadt. [6]

Im Sommer 1999 kann die Antifa Guben schließlich doch einen Gedenkstein zur Erinnerung an Farid Guendoul einweihen. Damit setzt sie ein deutliches Zeichen gegen die rassistischen Ressentiments, die den Diskurs in der Stadt bestimmen. Der Erinnerungsort ist ein Kompromiss zwischen Stadt und Antifa – ausgehandelt in langwierigen Diskussionen mit der Stadt über Inschrift und Standort. [7] Schließlich befindet sich der Stein auf einer Wiese in unmittelbarer Nähe zum Tatort, gleich neben der Cottbuser Straße, an der B 97. Er ist 20 Zentimeter hoch und mit einer schlichten Metallplatte versehen, die folgende Inschrift trägt:

Hier starb am frühen Morgen des 13. Februar 1999
OMAR BEN NOUI (28 Jahre)
Er wurde Opfer einer rassistischen Hetzjagd
von rechten Gubener Jugendlichen.
Wir werden sein Andenken bewahren.
Antifa Guben

In der Folge wird die Tafel wiederholt zerstört, es wird auf ihr herumgetrampelt, auf sie uriniert, gespuckt. [8] Darüber hinaus finden sich an der Fassade des Hauses, in dem Farid Guendoul ums Leben gekommen ist, immer wieder rechte Schmierereien – die ersten bereits zwei Tage nach der Tat. Im Juli 1999 werden der Gedenkstein, der Hauseingang der Hugo-Jentsch-Straße 14 und weitere 16 Orte im anliegenden Wohngebiet mit Hakenkreuzen und SS-Runen beschmiert und zahlreiche NPD-Aufkleber angebracht. [9] Immer wieder sind auch die Täter selbst an den Verwüstungen des Gedenkorts für Farid Guendoul beteiligt – so zum Beispiel in der Silvesternacht 1999/2000, als rund 40 Neonazis mit Fackeln, Reichskriegsflagge und „Sieg-Heil”-Rufen durch Guben marschieren und der Gedenkstein so stark zerstört wird, dass die Antifa Guben die Platte erneuern muss. [10]

An einer antifaschistischen Gedenkdemonstration zum 1. Todestag Farid Guendouls beteiligen sich ca. 300 Menschen. Am Rande der Veranstaltung fallen Schüsse vom Balkon eines Wohnhauses – die Polizei kann die Täter nicht feststellen. Der Gedenkstein wird in den folgenden Tagen von der Polizei bewacht. [11] Trotzdem werden die zum Gedenken niedergelegten Blumen zertrampelt und herumgeworfen, Naziparolen skandiert. Im März 2000 wird  die eingelassene Platte aus der Verankerung gerissen und gestohlen. [12]

Am 8. Mai 2000 weiht das „Gubener Forum gegen Gewalt und Fremdenfeindlichkeit“, in dem sich Vertreter_innen verschiedener Parteien, Organisationen, Vereine und Einzelpersonen zusammengeschlossen haben, einen neuen Gedenkstein ein. Auf der Platte, die auf einem im Boden versenkten Stein angebracht ist, befindet sich eine neue Inschrift:

Farid Guendoul (28 Jahre)
verblutet am 13. Februar 1999
Mahnmal
gegen Rassismus
gegen Gewalt
gegen Fremdenfeindlichkeit
Die Würde des Menschen ist unantastbar!

Die Antifa Guben kritisiert den neuen Text: „Die neue Inschrift verwischt die Tatsachen und das Geschehen in der Nacht“, heißt es in ihrem Statement. Und weiter: „Sie lässt offen, wie Farid Guendoul starb. Er ,verblutete‘. Warum? Angesichts der Tatsache, daß es viele Stimmen gibt, die Farid Guendoul eine Mitschuld an seinem Tod zusprechen, erscheint es uns unerläßlich, die Umstände und die Täter nicht außen vor zu lassen.“ [13]

Im Mai und im Dezember 2000 wird die Platte erneut zerstört. Mit jeder dieser Taten, die unter den Augen der Anwohner_innen geschehen, aber normalerweise erst von der Polizei selbst entdeckt werden, mehren sich Stimmen in der Bevölkerung, die eine Beseitigung des Steines fordern. Er würde provozieren. Wäre er nicht da, könnte er auch nicht zum Anlass für rassistische Anschläge werden, so die äußerst fragwürdige Argumentation. [14] Anfang 2001 gibt es eine heftige Debatte anlässlich des Vorschlags, die Gedenkplatte für Farid Guendoul im Inneren des Rathauses anzubringen. Die Verlegung kommt letztlich nicht zustande. Stattdessen übernehmen auf Initiative des Berliner Theaterregisseurs Peter Krüger rund 100 Gubener_innen aus Gewerkschaft, Kirche, PDS und dem „Internationalen Jugendverein Guben-Gubin“ eine Patenschaft zur Pflege des Erinnerungsortes. [15]

In den Folgejahren findet kein öffentliches Gedenken mehr statt. Lediglich einige wenige Personen legen zum Todestag Blumen nieder. [16] Erst im Februar 2005, am 6. Todestages von Farid Guendoul, führen antirassistische und antifaschistische Gruppen wieder eine Demonstration durch, um an die Ereignisse zu erinnern und auf aktuelle rechte Strukturen und Gewalttaten in Guben aufmerksam zu machen. Es nehmen rund 300 Personen teil.

Zehn Jahre nach dem tödlichen Angriff ruft ein überparteiliches Bündnis in Guben das Jahr 2009 als ein „Jahr der Mahnung“ aus. [17] Das Bündnis organisiert Ausstellungen, Lesungen und Veranstaltungen wie beispielsweise ein Forum zum Thema „ Rechtsextreme Parteien und Netzwerke in Brandenburg“. Ziel ist es, die Ereignisse von damals nicht zu vergessen. Gleichzeitig fordert die Initiative eine politische Auseinandersetzung mit aktuellen Entwicklungen des Neonazismus in der Region. [18] Am Todestag selbst finden eine Andacht mit anschließendem Gang zum Gedenkstein und eine Schweigeminute statt. Dann hält die Jugendinitiative „O.P.E.N. Gate“ eine 24-stündige Mahnwache am Stein. [19]

Der Bürgermeister Klaus-Dieter Hübner (FDP) gehört keineswegs zu den Engagierten. In einer zum 10. Todestag veröffentlichten Erklärung mit der viel sagenden Überschrift „Zum Tod eines Ausländers in Guben“ bedauert Hübner zunächst erst einmal die Stadt, die in ein „extrem schlechtes Licht“ gerückt worden sei, und deren Bewohner_innen, die „über Jahre hinweg stigmatisiert und angeprangert“ worden seien. Erst dann spricht er über den Toten. Völlig unerwähnt lässt er, wie Farid Guendoul starb. Wichtiger als die Erinnerung an die tragischen Ereignisse sei es für Guben, so Hübner, „vor allem nach vorn (zu) schauen“. [20] 2001 hatte Hübner bereits geäußert: „Das war doch keine Hetzjagd, sondern eher eine Verkettung unglücklicher Umstände.“ [21] Auch weite Teile der lokalen Bevölkerung sowie andere Politiker_innen – etwa Egon Wochatz (CDU), Bürgermeister der Nachbarstadt Spremberg  –  leugnen das Problem und schreiben den drei Verfolgten eine Mitschuld am Geschehen zu. [22]

Eine kleine Initiative setzt diesen rassistischen Deutungen der Tat ihr Engagement entgegen. Sie wird u.a. von Personen aus der Partei Die Linke getragen und organisiert zum Jahrestag der Hetzjagd regelmäßig kleine Gedenkveranstaltungen am Gedenkstein.

 


[1] Gabi Jaschke: Guben – Eine ostdeutsche Kleinstadt, telegraph #102/103
[2] Ebd.
[3] Ebd.
[4] Ebd.
[5] Berliner Zeitung, 12.02.2000: Der Stachel
[6] RE:Guben, 2013: Dokumentation der Ereignisse
[7] Gabi Jaschke: Guben – Eine ostdeutsche Kleinstadt, telegraph #102/103
[8] Gedenkstein erneut geschändet: Hetzjagd-Opfer: Rechtsradikale wüteten zum siebten Mal in Guben.Tagesspiegel,02.12.2000
[9] RE:Guben, 2013: Dokumentation der Ereignisse
[10] Gabi Jaschke: Guben – Eine ostdeutsche Kleinstadt, telegraph #102/103
[11] RE:Guben, 2013: Dokumentation der Ereignisse
[12] Antifa Guben: Neuerliche Zerstörung der Gedenktafel für Farid Guendoul/Omar ben Noui, 04.03.2000
[13] Antifa Guben: Antifa Guben /Anlaufstelle für Opfer rechtsextremer Gewalt Cottbus: Kommentar zum neuen Gedenkstein für Farid Guendoul, 28.03.2000
[14] Lausitzer Rundschau, 11.02.2000
[15] Fritz Burschel, 13.02.2009: Spurensuche. Guben zehn Jahre nach dem Tod von Farid Guendoul, Sonderbeilage in der Lausitzer Rundschau vom Verein Opferperspektive, S. 4
[16] Fritz Burschel, Michel Bergmann: Eine sehr deutsche Geschichte. Jungle World, 14.02.2013
[17] Tageszeitung, 22.12.2009: Endlich mal die Klappe halten
[18] Opferperspektive, Sonderbeilage zum 10 Todestag von Farid Guendoul: Es ist wichtig die Geschichte zu erzählen, S. 2
[19] IG Bau. 24.07.2009: Gesicht zeigen in Guben – Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus
[20] Lausitzer Rundschau: Der Fall ben Noui: Über Gubener Nazi-Gewalt wächst langsam Gras. 13.02.2009;  Tageszeitung, 22.12.2009: Endlich mal die Klappe halten
[21] Opferperspektive, 01.06.2001: Das Prinzip Opferperspektive
[22] Katrin Geil: Brandenburg: CDU-Mann unter SS-Kameraden. Spiegel online, 24.06.2006Lausitzer Rundschau:  Der Fall ben Noui: Über Gubener Nazi-Gewalt wächst langsam Gras, 13.02.2009

weitere infos

weiterführende Informationen

RE: GUBEN

Die Gedenkseite fragt nach den Folgen des Todes von Farid Guendouls. Was geschah in jener Nacht? Wie wurde mit der Tat umgegangen? Wie reagierten Politik und Gescllschaft?

www.re-guben.de

Erinnerung an Farid Guendoul

Opferperspektive e.V.

Die Zeitung erschien zum 10. Todestag von Farid Guendoul als Beilage der Lausitzer Rundschau und der 20cent in Cottbus und im Spree-Neiße-Kreis. Die erinnert an diese Ereignisse und soll Mut machen, nicht weg zu schauen, sondern aktiv gegen Rassismus und Rechtsextremismus Stellung zu beziehen.

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Guben - Eine ostdeutsche Kleinstadt

Gabi Jaschke

In der Fallstudie werden der lokale, gesellschaftliche Kontext , die Motivationen und Feindbilder der Täter und die verschiedenen Reaktionen auf den Tod von Farid Guendoul dargestellt. Die  Autorin war damals Mitarbeiterin der Opferperspektive, die gemeinsam mit der Anlaufstelle für Opfer rechter Gewalt Cottbus, die Überlebenden der Hetzjagd von Guben unterstützte.

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